Buch des Monats

Buch des Monats Oktober 2022

Sabine Bohlmann:
Frau Honig – Wenn der Wind weht

Illustriert von Joëlle Tourlonias
Planet! – Verlag 2021,
Lesealter ab 8 Jahre, 223 Seiten


Jolanda Olivia Philomena Viktoria Degenhardt hat mit ihrer herablassenden Art schon zahlreiche Kin-dermädchen zur Kündigung getrieben. Mit ihren 10 Jahren ist sie eines von 25 Business-Kindern, hat eine eigene Kollektion, eine Cornflakes-Marke, eigene Angestellte und verdient erfolgreich Geld. Dass nun mit Elsa Honig erneut ein Kindermädchen vor der Tür steht, auch wenn es neben einem Koffer auch einen Bienenstock trägt und quietschgelb angezogen ist, ermüdet sie nur. Sie hat ihr Kindsein schon lange abgelegt. Ihr Leben ist durchorganisiert und ihre Handlungen sind effektiv.
Familie Degenhardt lebt auf einem stattlichen Anwesen und lässt einen Buttler, eine Köchin, einen Gärt-ner und eine Privatlehrerin für sich arbeiten. Schon bei der ersten Begegnung mit den Bewohnern wird Elsa Honig klar, dass sie alle erstarrten Regeln und Verhaltensmustern folgen, die ihnen Lust und Lebens-freude nehmen. Selbst die Haushunde wollen nicht bellen. Blumen sind aus der Gartenanlage verbannt, die Büsche beschnitten.
Niemand ahnt, dass das neue Kindermädchen, ähnlich wie Mary Poppins, über magische Fähigkeiten verfügt. Wo sie sich aufhält, kann durchaus Ungewöhnliches passieren. Wenn sie den Wind wehen lässt, kann schon mal das Internet ausfallen, kann die Lehrerin nicht kommen, weil ihre Haustür klemmt, kön-nen Telefonate nicht geführt werden, weil die Verbindungen unterbrochen sind. Elsa Honig wird alles daransetzen, dass Freude und Warmherzigkeit wieder in die Villa einziehen und Jolanda aus ihrer Er-wachsenenrolle erlöst wird. Mit Hilfe der Fantasie will sie das innere Kind in dem Mädchen wecken, doch Jolanda geht auf ihre kreativen Einfälle und verblüffenden Ideen nicht ein, hält sich für überlegen und meint, ihr Kindermädchen habe „nicht alle Tassen im Schrank.“
Finchen, die kleine Tochter der Köchin, und Jakob, der Sohn des Gärtners, haben hingegen Gefallen an Frau Honigs ideenreichen Spielen. Auf einer „Kindheitsliste“ halten sie alles fest, was man tun muss um ein Kind zu sein, z. B. Verstecken und Fangen spielen, Hüpfen, Kopfüber vom Baum baumeln, „Verrückt“ spielen, Arme ausbreiten und Fliegen lernen und vieles mehr. Nach und nach wecken sie Jolandas Inte-resse und spielen schließlich gemeinsam die Liste rauf und runter. Jolanda lernt mit der Zeit, „wie schön es ist, etwas zu tun, was total unsinnig ist“ und begreift, dass man mit Hilfe der Fantasie alles sein kann, was man möchte. In dem Moment, wo sie sich diesem unbeschwerten Kind sein überlässt, weiß Frau Honig: Ihre Arbeit ist getan.
Sabine Bohlmann hat ein Buch für Kinder mit Fantasie geschrieben. Amüsiert werden sie sich Frau Honigs „verrücktes“ Verhalten vorstellen und sich ihre Aktionen vor Augen führen. Da übt sie mit den Haushun-den das Bellen, indem sie sich vor sie kniet und es vormacht. Da wird das Einüben des Benehmens am Tisch zum Spaß, weil sie den Nachtischlöffel an ihrer Nase befestigt und dort baumeln lässt, da schlittert sie über die Marmorböden und rutscht das lange Geländer im Treppenhaus hinunter. Ohne lange nach-zudenken überschreitet sie Grenzen, wenn es gilt Probleme zu lösen. Weil das Ölbild eines Vorfahren der Degenhardts immer schief hängt und sich nicht geraderücken lassen will, bringt sie alle anderen Gemälde ebenfalls in Schieflage und stellt zufrieden fest: „Wunderbar schief!“ Weil es sie ärgert, wenn Jolanda ihren Unmut ausdrückt, indem sie genervt die Augen verdreht und dazu herablassend ein „Pff!“ ausstößt, erteilt sie ihr eine Lehre, indem sie die Ps und Fs einfach aus ihrer Sprache verschwinden lässt.
So leicht und lustig wie sich das Buch liest, regt es auch zum Nachdenken an. Den Leserinnen und Lesern wird klar vor Augen geführt, dass Geld allein nicht glücklich macht und manche Menschen, die ärmer sind, reicher sind. Am Ende der sehr gefühlvollen Geschichte wendet sich alles in Jolandas bisher ver-korkstem Leben zum Guten. Selbst ihr Kuscheltier „Wolli“ spricht wieder mit ihr. Frau Honig hat eben alle verzaubert.
Sabine Bohlmann erzählt ihre Geschichte humorvoll und kindgerecht. In kleinen Schritten beschreibt sie Jolandas Wandlung. Das Wort Fantasie hat sie der Bedeutung wegen zum Bestandteil jeder ihrer Kapitel-überschriften gemacht. Am Schluss findet man die bereits erwähnte „Kindheitsliste“ und ein Nachwort der Autorin zu ihrer eigenen Kindheit. Mit dem Buchcover weckt Joëlle Touronias eine Vorstellung von Elsa Honig. Ein Bienen-Daumenkino in den oberen Ecken der Buchseiten greift deren Liebe zu Bienen auf. Den Text illustriert sie sparsam mit einfachen schwarz- weiß Zeichnungen.
„Frau Honig – Wenn der Wind weht“ ist ein Roman für Kinder, wird aber auch Erwachsenen gefallen. Er ist zum Vorlesen und für Ältere zum Selberlesen geeignet. Als dritter Band der Frau Honig-Reihe erzählt er eine abgeschlossene Geschichte, ein vierter Band ist bereits erschienen.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen