Alex Rühle: Traumspringer
dtv junior 2019, 256 Seiten, Lesealter ab 10 Jahren
Was geschieht mit unseren Träumen? – Seit Urzeiten werden sie im Traumreich gesammelt, archiviert und in großen Gläsern verwahrt. Morpheus, der Gott der Träume (der griech. Mythologie), wacht gemeinsam mit seiner Schwester Ombra und seinem Bruder Krato über diesen Schatz. Doch zwischen den Brüdern gibt es Streit. Krato will die Träume der Menschen verwerten und zu Geld machen.
Leon ist ein Träumer und gehört daher in seiner Klasse nicht zu den Favoriten. Vor allem von Max muss er einiges einstecken. Wenn er in der Schule aus dem Fenster schaut, kann es sein, dass er eine Fledermaus sieht, die ihn starr fixiert. War sein Erlebnis beim Geburtstagsausflug seiner Schwester auch ein Tagtraum? Im neu erbauten Fledermaushaus befand sich kein einziges Tier, dafür hingen Hunderte der Tiere kopfüber in den Bäumen über dem Kiosk und starrten stumm herunter. Keine der üblichen Süßigkeiten konnte man dort kaufen. Die Fenster waren bestückt mit Gläsern, in denen eine undefinierbare Masse schwamm, die ein alter Mann in aller Ruhe polierte. „Schöne Träume!“, wünschte er Leon und schenkte ihm einen schwarzen Kaugummi. Hatte der pfeilschnelle Angriff einer Fledermaus auf den Kopf seiner Schwester mit ihm zu tun?
Leon war Morpheus begegnet! In der folgenden Nacht taucht er ein in dessen verborgene Welt und besucht ihn von da an täglich. Denn Leon ist tatsächlich ein Träumer; er kann unbemerkt in die Träume anderer springen. Morpheus, der nicht über diese Fähigkeit verfügt, benötigt daher die Hilfe des Jungen. Er soll herausfinden, warum Krato die Traumarchive plündert und ihn aufhalten.
Bis zu dieser Begegnung erzählt Alex Rühle eine fantastische Geschichte, die sich viel Zeit lässt und von ihrem Handlungsablauf anderen nicht unähnlich ist. Sie bekommt eine dramatische Wendung, als der Autor Realitäten des „wahren“ Lebens mit der Welt der Träume vermischt.
„Das Spiel“, ein fantastisches Handyspiel, kursiert, bei dem jeder Spieler seiner eigenen Figur bei einer Verfolgungsjagd hilft. Es macht Kinder und Erwachsene gleichermaßen süchtig (auch Leons Vater) und löst eine ungeheure Nachfrage aus, weil es täglich neue Versionen gibt. Krato, der dieses Spiel ersonnen hat, reicht bald das Traummaterial aus den Gläsern nicht mehr aus. Er muss es sich extern beschaffen. Also entführt er Menschen, vor allem Kinder, sediert sie und saugt ihnen mit einer speziellen Apparatur die Träume ab. Elena, die Schwester von Leons tschetschenischem Klassenkameraden Elias gehört zu den Vermissten. Sie kann ihrem Bruder ihren Aufenthaltsort mitteilen, und so reisen Leon und Elias (auch Leons Freundin Nina schließt sich an) unter aufregenden Umständen nach Ungarn, um dort nach Kratos Geheimfabrik zu suchen und Elena zu befreien. Mit dem Eintritt in diese Phase des Geschehens nimmt die Geschichte Fahrt auf, wird immer spannender und lässt einen mitfiebern. Ob die Rettung gelingt?
Das Buch verknüpft mit der magischen Geschichte des Anfangs nun zunehmend Themen unserer Zeit. Da geht es um Mobbing in der Schule, gestreift wird das Thema Migration (Elias ist illegal in Deutschland) und erste Gefühle des Verliebtseins. Gesellschaftskritisch betrachtet und themenbeherrschend wird letztlich die Spielsucht am PC, die den Menschen Lebenszeit raubt und nicht nur Kinder befällt. Je mehr sich die Kinder in der Wirklichkeit bewähren müssen, desto spannender und temporeicher wird die Geschichte, die durchaus gruselige Fantasy-Elemente enthält und zum Schluss hin nicht unbedingt leicht nachzuvollziehen ist. Die 31 Kapitel bestehen aus kurzen Sequenzen, die in einfacher, fast karger Sprache formuliert sind. Vielleicht, weil die Erlebnisse von Leon erzählt werden?
Das fantastische Buch-Cover von Max Meinzold besticht mit seiner Goldfärbung. Man sieht den Träumer ins Nachtdunkel springen, Flammen hinter sich herziehend, bewacht von den goldleuchtenden Augen kopfüber hängender Fledermäuse (Kratos Spionen). Das Buch enthält keine Illustrationen, nur Fledermaus-Ikons am unteren Buchrand verleiten zu einem Daumenkino. „Traumspringer“ wird Jungen und Mädchen gleichermaßen in seinen Bann ziehen.
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